Crazeland 1999, Eichborn Verlag, Saksa

Crazeland eichborn GER

Translator: Stefan Moster


SAMPLE TRANSLATION (IN INGLISH)


Neue Zürcher Zeitung, Von Barbara Schweizer-Meyer

Porträt einer Nonkonformistin Die finnische Schriftstellerin Rosa Liksom und ihr Roman «Crazeland»

Sie lacht, unbändig, herzhaft würde man sagen, wäre da nicht die Spur von Sarkasmus, die sich oft hinter einem unvermittelten Lachen verbirgt. Es enthält beides, dieses Lachen der finnischen Schriftstellerin und Künstlerin Rosa Liksom, den versöhnlichen Humor und die beissende Kritik. Wer ihre Bücher liest, lernt schnell, zwischen den Zeilen zu lesen, das Doppelbödige und Verfremdende hinter scheinbar idyllischen Landschaftsbeschreibungen Lapplands zu erkennen ebenso wie die tiefe Menschlichkeit, die in den brutalen Szenen städtischen Elends sich verbirgt.

Mit dem Filmemacher Aki Kaurismäki wurde Rosa Liksom oft verglichen. Doch fehlt in ihren Büchern jegliche Romantisierung. Dass das von ihr gezeichnete Finnland nicht dem Bild der Tourismusbeilagen entspricht, kann sie nur bestätigen. Ihr neuster Roman, «Kreisland», ein grossangelegtes Schelmenepos, vor kurzem unter dem Titel «Crazeland» auf deutsch erschienen, wurde von der Literaturkritik verharmlost, mit Kalkül, wie die Autorin lakonisch meint. Derweil setzen sich Literaturwissenschafter gezielt damit auseinander.

Ich sitze der Autorin gegenüber in der Moskow-Bar im Stadtzentrum Helsinkis, den Treffpunkt hatte sie vorgeschlagen. In Moskau hatte sie ein Jahr lang studiert in den siebziger Jahren, später hielt sie sich länger in Austin, Texas, auf, bereiste Europa, hielt sich mit allen möglichen Gelegenheitsjobs über Wasser, arbeitete zeitweilig in einer Bar Helsinkis. Heute ist sie Mutter und Künstlerin, in dieser Reihenfolge, wie sie betont, damit die Vorstellung von den finnischen Karrierefrauen widerlegend. Im Dezember letzten Jahres hatte sie eine grössere Ausstellung ihrer Bilder in Stockholm. In Dänemark, Frankreich und anderen europäischen Ländern werden ihre Bilder regelmässig ausgestellt. Ausserdem schreibt sie Reisereportagen, Skripts für Film und Fernsehen und verfasste ein Theaterstück.

AUFGEDECKTE ABGRÜNDE

Rosa Liksom, die eigentlich ganz anders heisst – man hat ihr Pseudonym mit dem Namen Rosa Luxemburgs in Verbindung gebracht –, ist in der finnischen Literaturszene längst zur Kultfigur avanciert. Das erste Buch der 1958 in einem kleinen Dorf Lapplands geborenen Autorin erschien 1985. Es löste Begeisterung – und einen Sturm der Entrüstung aus. So schonungslos und rüde hatte bisher niemand im Leseland Finnland die Abgründe der menschlichen Existenz aufgedeckt. Den kaputten Typen der Subkultur Helsinkis, den arbeitslosen Alkoholikern, den Landbewohnern im spärlich besiedelten Norden Finnlands verlieh sie eine Stimme. «Ich liebe Bars. Hier beginnen die Menschen zu sprechen.» In ihren Büchern mühelos zwischen Slang und Dialekt changierend, widersetzte sie sich von Anfang an einem Literaturbegriff, der Literatur auf kurzweilige Erbauung und Freizeitgenuss reduzieren möchte. Einige dieser Texte erschienen auf deutsch.

Noch stärker widersetzte sie sich dem Druck der Medien, die ihr eine festgelegte Rolle zuordnen wollten. Interviews in Finnland verweigert sie bis heute. Wann immer sie in der Öffentlichkeit auftrat, bei Vernissagen ihrer eigenen Bilder, wählte sie Masken, liess sich als lappländische Punk-Lady in Lederjacke und Ethno-Look abbilden. Die schwarze Sonnenbrille wurde ihr Markenzeichen. Schonungslos-frech gab sie das Bedürfnis der Medien, sich Ikonen zu schaffen, der Lächerlichkeit preis. «Speed», wie sie heute selbstkritisch anfügt, Geschwindigkeit, Wendigkeit waren ihre Kennzeichen und das ihrer kurzen, oft halbseitigen Texte, die sich beim Warten an der Bushaltestelle lesen liessen. Sie verkörperte den Zeitgeist der achtziger Jahre und hielt ihrer Gesellschaft gleichzeitig den Zerrspiegel vor Augen. Die Leser danken es ihr seither mit Verkaufszahlen, die andere finnische Autoren neidisch machen mögen. Sie lebe gut von ihren Bildern und Büchern, meint sie. Allerdings schwingt dabei ein kritischer Unterton mit. Der Konsumgesellschaft verweigert sie sich bewusst, aber nicht verbissen. Zum Establishment stehe sie auf Distanz. Ihre Bücher wurden in sieben Sprachen übersetzt. Sie schreibe täglich zwei Stunden, ohne Computer, die erste Fassung korrigiere sie, dann gebe sie ihr Manuskript dem Verlag. Seit Jahren erscheinen ihre Bücher beim finnischen Verlag WSOY, bei dem sie sich wohl fühlt.

Wichtig sind die Bücher, die ein Schriftsteller schreibt, nicht seine Person, lautet ihr Credo. In einem spärlich besiedelten Land wie Finnland, in dem jeder Kulturschaffende im Rampenlicht der Öffentlichkeit steht, ist es Rosa Liksom gelungen, ihre Privatsphäre zu wahren. Der 300seitige Roman «Crazeland», postmoderne Satire und barockes Welttheater in einem, fordert den Leser. Dieser Roman ist eine Provokation. Der Titel ist eine Anspielung auf Elvis Presleys «Graceland», aber ebenso klingt die Konnotation des englischen «crazy» mit. Geschrieben in vier verschiedenen Ausdrucksformen der finnischen Sprache, dem finnischen Dialekt Meän Kieli ihrer Heimatprovinz Länsi-Kaira im westlichen Lappland, dem Oberschichtsfinnisch der ersten Jahrhunderthälfte, dem Altfinnisch der Jahrhundertwende und dem Standardfinnisch, löste er nicht erst bei den Übersetzern Entsetzen aus. Stefan Moster, der deutsche Übersetzer, lebte während dreier Monate in der Region. Die Leser der deutschen Fassung sind, was die sprachliche Umsetzung anbelangt, in einer komfortableren Situation. Verständnisschwierigkeiten erwarten sie keine.

Die Widersprüche des Jahrhunderts – den Wandel der finnischen Agrarwirtschaft in eine moderne Industriegesellschaft, den Wechsel von einer mythischen Naturverbundenheit in eine schnellebige Konsumgesellschaft, das finnische Kriegstrauma – hat Rosa Liksom ihren Personen in den Mund gelegt. Sie kommen alle zu Wort: der naive Knecht, die resolute Haushälterin, der finnische Gutsbesitzer und sein Chauffeur, die russische Emigrantin. Abwechselnd treten sie hervor und erzählen ihre Variante des Geschehens. Stark typisiert erscheinen sie, zeitweise ins Phantastisch-Surreale erhöht, dann wieder von barock-derber Realistik.

IMPI AGAFIINA

Mit Impi Agafiina («impi» bedeutet auf finnisch «Mädchen» und «Jungfrau») ist die finnische Literaturgeschichte um eine bemerkenswert originelle Gestalt reicher geworden. Trutz Simplex, Jeanne d'Arc und Moll Flanders zählen zu ihren literarischen Ahnenfiguren, doch ist sie ganz eigen. Schamlos gerissen und gleichzeitig von naiver Gutgläubigkeit, kämpft sie sich durch die finnische Geschichte dieses Jahrhunderts von den dreissiger Jahren bis 1957. Nach dem Zweiten Weltkrieg bricht sie auf nach Moskau, wo sie von «der Mücke des Kommunismus gestochen wird», sucht dann, enttäuscht von der russischen Planwirtschaft, ihr Glück im kapitalistischen Amerika. Doch ihr amerikanischer Traum, ihr «Plasticparadies», entpuppt sich ebenso als Illusion. Angewidert kehrt sie zurück in den Schoss der nordischen Wälder- und Seenlandschaft, wo sie einen Sohn, Elvis, zur Welt bringt. Hat sich Rosa Liksom zur Anhängerin der Zentrumspartei gewandelt, wie in der finnischen Presse geschrieben wurde? Mitnichten.

In der Figur der ungebärdigen, hässlichen, schwarzhaarigen Impi Agafiina, die mit ihren Eltern in der Wildnis der lappländischen Wälder dahinvegetiert, bis sie von einem reichen Reeder und dessen Frau adoptiert und auf deren Gut mit Stand und Bildung ausgestattet wird, vermischen sich auf unglaubliche Weise mythische und historische Elemente. Schon bald diskutiert Impi Agafiina Maeterlincks frühe Stücke, lernt Sticken und Klavierspielen. Doch eigentlich ist es Signe Säppi, die Haushälterin der Familie Wallenius, die sie in der Kunst des Überlebens unterweist. Hinsichtlich ihrer Vitalität und ihres Freiheitsdrangs könnte Impi Agafiina eine Schwester von Alexis Kivis «Sieben Brüdern» sein. Spielerisch-ironisch lässt die Autorin in ihrem Roman den Topos der finnischen Literatur von der ursprünglichen Natur einfliessen. Mit fünf Jahren bewundert Agafiina Cäsar und Peter den Grossen. Als der Krieg ausbricht, entschliesst sie sich, fortan ihr Leben ganz in den Dienst der Schaffung eines grossfinnischen Reiches zu stellen, das notabene bis zum Ural reicht. Während sie sich als finnische Lotta (kriegsfreiwillige Sanitätshelferin) mühsam den Weg zur Front erkämpft und sich ins Weltgetümmel des 20. Jahrhunderts stürzt, bleibt ihr literarischer Gegenspieler, Juho Gabriel, der «tumbe Tor», dessen Existenz sich mühelos einfügt in die zyklische Wiederkehr der Jahreszeiten. Kontrapunktisch sind die Existenzen der beiden Hauptfiguren – Vertreter von Zivilisation und Natur – in der Fiktion aufeinander bezogen.

GEWALT UND SATIRE

Zweierlei habe sie sich vorgenommen, gesteht Rosa Liksom, bevor sie dieses Buch zu schreiben angefangen habe. «Keine Vulgärausdrücke, keine Darstellung von Sexualität.» Entstanden ist ein Roman, der wie kein anderer die sexuell tabuisierte Atmosphäre der Kriegs- und Nachkriegsjahre einfängt, indem das damals Verschwiegene als gesellschaftlicher Zündstoff zwischen den Zeilen flackert. Bissig-satirisch ist ihr Porträt des grossen Kriegsmarschalls, wie er einen jämmerlichen Tod – weitab der Schlachtfelder – stirbt. Mutiger und draufgängerischer als alle Männer – die männlichen Hauptfiguren sind durchweg Homosexuelle –, straft Impi Agafiina den Mythos vom tapferen Soldaten Lügen und gibt gleichzeitig die tradierten Normen der Geschlechterrollen der Lächerlichkeit preis.

Auf die satirische Erzählhaltung angesprochen, meint Rosa Liksom, in den Dörfern Lapplands habe man den Krieg und seine vermeintlichen Helden immer mit humoristischen Anekdoten versehen, anders als im finnischen Süden. Mythen, so lehrt dieses Epos, wachsen vor allem auf dem Boden der sogenannt zivilisierten Gesellschaft. So stellt die Autorin das in den Geschichtsbüchern vermittelte Bild vom unschuldig-tapferen Kampf der Finnen um ihr Heimatland schonungslos in Frage und klammert selbst das schmerzhafte Kapitel der deutsch-finnischen Beziehungen im Fortsetzungskrieg nicht aus. Gewalt und Machtmissbrauch als elementarer Ausdruck der menschlichen Existenz spielen sich aber nicht nur auf den Schlachtfeldern ab, sondern vollziehen sich in allen sozialen Milieus. Hierin hat sich Liksoms Überzeugung im Vergleich zu ihren früheren Werken nicht verändert. Der junge Juho Gabriel wird von seinem Stiefvater missbraucht, später als erwachsener Mann erschlägt er den Hausbesucher, der sich an ihm vergreift.

Das Leben in den abgelegenen Dörfern des Nordens ist eingebettet in den Rhythmus des lutherisch-christlichen Jahreskalenders. Am Anfang des Romans steht die Schöpfungsgeschichte. In sieben Tagen entsteht Crazeland. Weshalb der Roman aus acht Büchern bestehe? «Nun, bei sieben Büchern wäre die religiöse Symbolik zu offensichtlich», meint die Autorin lächelnd. Die Eigenwilligkeit dieser Schriftstellerin erweist sich gerade darin, dass sie sich erkühnt, mit den Leseerwartungen spielerisch umzugehen. Die Kenntnis der Geschichte setzt sie voraus. Auf dieser Bewusstseinsfolie erst kann sich die literarische Phantasie des Denkbar-Anderen virtuos entfalten.

Die Naturidylle der Schlussszene von «Crazeland» ist eine trügerische. Zurzeit arbeitet Rosa Liksom an einer Fortsetzung des Romans. Impi Agafiina schlägt sich durch die zweite Hälfte des Jahrhunderts.

Kurzbeschreibung

"Im hintersten Winkel der lappischen Fjällandschaft wird Impi Agafina geboren. Sie kompensiert den Mangel an angeborener Schönheit durch atemberaubende Unternehmungslust und Intelligenz und erobert sich im Stil einer finnischen Pippi Langstrumpf die Welt. Dabei geht sie keinem aktuellen Heilsversprechen und keiner obsoleten Irrlehre des zwanzigsten Jahrhunderts aus dem Weg - stets fest entschlossen, nicht auf irgendeinem Scheiterhaufen zu enden. Wie aus der glühenden Patriotin eine Heldin der sozialistischen Arbeit wird, wie sie dann den amerikanischen Plastik-Traum träumt und schließlich wieder in die "stinkende Idylle" Lapplands eintaucht - das erzählt dieser unkonventionelle Abenteuerroman."